Kanonen statt Butter – Operationsplan Deutschland – Friedensbewegung
„Kanonen statt Butter“ ist die aktuelle Strategie sowohl der politisch-staatlichen Abteilung der Herrschenden als auch insbesondere der Kapitalfraktionen, die von der Rüstungsindustrie angeführt werden. Aber auch viele Staatsbürger, die ihr Staatsbürgertum fälschlicherweise nicht als Zwang und deshalb nicht als von herrschenden Interessen bestimmte Funktion sehen, sondern als ihre ureigenste nationalgefühlig oder nationalistisch begründete freie Entscheidung, die Staatsinteressen zu erfüllen, weil sie mit den eigenen identisch scheinen, nehmen Kanonen statt Butter nicht nur hin – sie befeuern die Kriegsvorbereitung vielmehr mit lautstarken Forderungen nach noch mehr und besseren, also zerstörerischen und tödlichen Waffen für Selenskyj. Selbst viele von den wenigen, ob Russen oder Ukrainer, ob Israelis oder Palästinenser oder ob bald auch Deutsche, US-Amerikaner, Briten oder Franzosen, die dem Selbstmissverständnis nicht unterliegen, sie kämpften im Krieg für ihre ureigensten Interessen, die also den Zwang des Staates wenigstens im Ansatz durchschauen, durch sie als Soldaten Krieg für Kapital und Staat führen zu lassen, werden durch eben diesen staatlichen Zwang zum Krieg in eine Lage gebracht, in der sie im Krieg tatsächlich ihre Familie, ihre Freunde und ihre Heimat glauben verteidigen zu müssen. Nicht zur Waffe zu greifen ist für sie vor dem Krieg eine andere Option als im Krieg. Es gilt demnach, jeden Krieg zu verhindern, bevor er geführt wird. Deshalb muss die Kanonen-statt-Butter-Propaganda als das analysiert und bewertet werden, was sie ist: Vorbereitung und Rechtfertigung von Massenmord für Staats- und Kapitalinteressen.
Die politisch und rhetorisch blasse Ministerin der Verteidigung Christine Lambrecht (Dez. 2021 bis Januar 2023) war ab Februar 2022 sichtlich bemüht, sich in die kriegsbegeisterte Rhetorik einzufügen und ihrerseits den Infokrieg im Rahmen des Profitkriegs zum Zweck der Rechtfertigung des Schießkriegs zu befeuern.1 Ihr Impact auf die aggressive NATO-Strategie gegen Russland aber war offensichtlich zu gering, denn im Januar 2023 wurde sie durch den SPD-„Parteisoldaten“ Pistorius ersetzt, der die Kriegsrhetorik auf ein Level anhob, das den Interessen der USA und der NATO eindeutiger entsprach. Der kernige Herr Pistorius hat es als Kriegsminister in kürzester Zeit zum anerkanntesten Minister in der ansonsten mehrheitlich abgelehnten Regierung gebracht2, was bereits verdeutlicht, wie schlecht es in Deutschland um eine systemkritische Antikriegshaltung steht. Pistorius schwört die Bevölkerung, indem er die Entstehung des Russland-Ukraine-Krieges ausschließlich dem „Reich des Bösen“, also Putin-Russland, zuschreibt, auf „Kriegstüchtigkeit“ und „Wehrhaftigkeit“ ein.3 Dabei komplettiert er die zurückhaltende, phasenweise zaudernd wirkende Kriegsrhetorik von Kanzler Scholz und die ungezügelte, aggressive und extrem emotionalisierende Kriegspropaganda der Außenministerin Baerbock sozusagen in der Mitte zwischen beiden hervorragend. Er ist gleichsam die personifizierte Sicherheit, Klarheit und Notwendigkeit, ohne jede Zögerlichkeit, aber auch ohne jeden Alarmismus. Ohne Aufrüstung Deutschlands und massive Waffenlieferungen an die Ukraine sind Freiheit und Sicherheit nicht zu haben. Das vermittelt Pistorius unaufgeregt und scheinbar sachlich.
Die willfährigen Staatsbürger reagieren reflexartig gehorsam, denn sie haben mehrheitlich einerseits Angst vor Krieg, wollen aber andererseits eine starke NATO, eine EU-Armee und eine gut gerüstete Bundeswehr haben, weil sie das für ihre Sicherheit als notwendig erachten.2 Taurus-Marschflugkörper wollen sie freilich wegen der Reichweite von 500 km eher (noch) nicht an die Ukraine liefern, weil sie bei aller staatsbürgerlichen Unterordnung und Willfährigkeit bzgl. Kriegsvorbereitung eben noch daran glauben, dass NATO und Bundeswehr das Böse aus dem Osten auch ohne deutsche Tauruslieferungen abschrecken und dadurch fernhalten können. Unmittelbar gegen die Russen wollen sie dann doch lieber (noch nur) die Ukrainer kämpfen lassen, denn Tauruslieferungen inkl. Schulungen der ukrainischen Soldaten am Gerät könnte Russland, so ihr Kalkül, als Kriegseintritt Deutschlands interpretieren und den Krieg auf Deutschland ausweiten.
Mittlerweile gilt Pistorius nicht nur als nahezu einziger SPD-Politiker, der noch Vertrauen in der Bevölkerung erzeugen kann, sondern auch als rationaler Verwalter der deutschen Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit und wird folgerichtig immer häufiger als SPD-Kanzlerkandidat (statt Scholz) gehandelt. Deshalb wird auch die dauerhafte Stationierung einer Brigade der deutschen Bundeswehr (fast 5000 Bundeswehrangehörige) in Litauen4 neben der ohnehin schon unter deutscher Führung stationierten NATO-Battlegroup (seit 2017 aus verschiedenen NATO-Ländern) von der Bevölkerung mehrheitlich begrüßt – eine positive Emotionalisierung eines militärisch hochbrisanten Vorgangs, weil damit deutsche Truppen in erheblichem Umfang fast direkt an der russischen Grenze stationiert sind. Litauen hat zwar keine unmittelbare Außengrenze mit Russland, aber mit Belarus. Außerdem ist Litauen einer der drei baltischen Staaten, von denen Lettland und Estland Staatsgrenzen zu Russland haben. Im Rahmen der bis jetzt reibungslos vonstatten gehenden Kriegsvorbereitung wurde auch die ohne jede demokratische Diskussion zwischen den Regierungen Deutschlands und der USA im Juli 2024 verkündete baldige Stationierung (2026) von US-Raketen (mit vorläufig konventionellen Sprengköpfen)5 in Deutschland kein öffentlich und in der Bevölkerung besonders engagiert diskutiertes Thema, obwohl sie eigentlich das Potenzial haben müsste, eine intensive militär- und friedenspolitische Debatte auszulösen. Immerhin scheint in Teilen der Bevölkerung die Stationierung umstritten zu sein.
In den inzwischen zum Transmissionsriemen der Regierungspropaganda herabgesunkenen Nachrichtensendungen und TV-Talkshows des ÖRR wird die Kriegsvorbereitung von allerlei Kriegsexperten wie dem tv-omnipräsenten Carlo Masala, der von Vorkriegszeiten spricht6, befeuert, aber auch von z.B. Wirtschaftsexperten im Sinne von „Kanonen statt Butter“ angeblich sachlich untermauert7. Butter steht metaphorisch für Sozialleistungen, die in dieser Logik nun mal in Vorkriegszeiten reduziert werden müssen, damit die „Kriegstüchtigkeit“ und „Wehrhaftigkeit“ hergestellt werden kann, denn für Aufrüstung und Militär müsse nun mehr ausgegeben werden und da die Mittel begrenzt seien, müsse der Bürger, der bald als Menschenmaterial im Krieg fürs Vaterland verwertet werden soll, in Vorkriegszeiten den Gürtel schon mal enger schnallen. Herrschaftszeiten, die noch weniger Gutes für die Beherrschten bedeuten als im weltkapitalistischen Krisenmodus auf allen Ebenen ohnehin schon, v.a. für diejenigen unter ihnen, die von Lohn abhängig sind, also für die große Mehrheit. Inzwischen schlägt Masala etwas andere Töne an8, weil sich die militärische Lage im Russland-Ukraine-Krieg weniger positiv für die Ukraine entwickelt hat, wie v.a. westliche Experten es in 2022 und 2023 vorausgesagt hatten.
Derweil wird in der Logik der Kriegsvorbereitung und Kriegsausweitung z.B. in Deutschland die Nationale Sicherheitsstrategie erneuert und seit März 2023 der Operationsplan Deutschland9 entwickelt, der zwar eigentlich geheim ist, aber in seinen wesentlichen Aspekten v.a. auch an die Zivilbevölkerung übermittelt werden soll. Alle einschlägigen staatlichen Institutionen und politischen wie gesellschaftlichen Organisationen sind im Wortsinne selbstverständlich am Start9, um den Operationsplan Deutschland bekannt zu machen. Da Deutschland geographisch bedingt Durch- und Aufmarschgebiet der NATO-Truppen im Kampf gegen „den bösen Russen“ ist, sollen Zivilbevölkerung und zivile Organisationen angehalten werden, ihrer nationalen Verantwortung nachzukommen und die Soldaten zu verpflegen und ihnen Unterkunft zu bieten. Bundeswehr, Zivil- und Katastrophenschutz, NATO-Truppen und die Bevölkerung in Deutschland sollen an einem Strang ziehen, um die angebliche russische Gefahr zu bannen.
Im Operationsplan Deutschland (kurz OPLAN DEU) wird das folgendermaßen beschrieben:
„Der OPLAN DEU ist eine Reaktion auf die sich verschärfende sicherheitspolitische Lage in Europa. Er führt die zentralen militärischen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland mit den dafür erforderlichen zivilen Unterstützungsleistungen in einem operativ ausführbaren Plan zusammen. Er trifft damit die planerische Vorsorge dafür, dass im Krisen- und Konfliktfall nach erfolgter politischer Entscheidung zielgerichtet und im verfassungsrechtlichen Rahmen gehandelt werden kann. In ihm werden Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten festgelegt, um gemeinsam mit anderen staatlichen und zivilen Akteuren Deutschland, dessen territoriale Integrität und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und zu verteidigen sowie den Aufmarsch der alliierten Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke sicherzustellen. Das Ziel ist die schnelle Handlungsfähigkeit über alle Ressort- und Ländergrenzen hinweg.“
Und speziell zu den „Aufgaben zivil-militärischer Zusammenarbeit“ wird Folgendes ausgeführt:
„Die maximale zivile Unterstützung ist beim OPLAN DEU ein entscheidender Faktor. Während die Bundeswehr den Menschen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal oder im Pandemieeinsatz unterstützend zur Seite stand, ist sie im Krisen- und Verteidigungsfall selbst auf zivilgesellschaftliche und zivilgewerbliche Hilfe angewiesen. Die umfassenden Aufgaben können nur durch ein abgestimmtes und zielgerichtetes Zusammenspiel auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene bewältigt werden. Der OPLAN DEU bündelt die zentralen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland mit den dafür erforderlichen zivilen Unterstützungsleistungen. Er legt beispielsweise fest, welche Verkehrswege für den Transport genutzt werden, welche Brücken in Betracht kommen und wo Rastplätze eingeplant sind und wie diese geschützt werden müssen. Die Sicherung dieser Verkehrswege muss eng mit Polizei und anderen zivilen Institutionen abgestimmt werden.“
Fahrrouten für den Privatverkehr sperren, Brücken freihalten, unbenutzte Kasernen, Stadthallen, Schulen (v.a. Turnhallen) für Übernachtungen vorbereiten, Hotels und Gästezimmer in Privathäusern zur Verfügung stellen, Wiesen und Privatgärten für Zeltaufbau herrichten (z.B. Strom- und Wasseranschlüsse installieren), Verpflegungspakete bereithalten, Getränke vorhalten usw. usw. sowie Soldatenermutigung durch Jubel, Gesänge, Beifall, Fahnenschwingen und Ähnliches sind Aspekte der zivilgesellschaftlichen Unterstützung des Militärs. Bereits vorher und parallel dazu soll die Bevölkerung Kürzungen der Sozialleistungen, Verzicht auf Lohnerhöhungen, drastische Einschränkung der Meinungsfreiheit sowie massive Aufrüstung und enorme Steigerung der Staatsausgaben für die Bundeswehr und die NATO-Truppen nicht nur akzeptieren, sondern begeistert befürworten.
Der OPLAN DEU lässt sich in seinem Motto zusammenfassen: „Deutschland.Gemeinsam.Verteidigen.“ Dieser Plan kann einerseits an bereits vorhandene Befindlichkeiten und staatstreue Gesinnungsmuster anknüpfen, ist aber andererseits auch auf massive und in zeitlicher Taktung gesteigerte militärische Aktionen, z.B. verstärkte Waffenlieferungen an die Ukraine, Aufstockung des Bundeswehr-Truppenkontingents in Litauen auf die Stärke einer Brigade bis zu 4.800 Soldaten10 (s.o.) und Kriegspropaganda für die Wankelmütigen in der Bevölkerung angewiesen. V.a. sollen in diesem Rahmen national-identitäre Verbundenheit und/oder Nationalismus in jeder Hinsicht vergrößert und gefestigt werden. Die Einführung eines Veteranentages ist ein aktueller kleiner Baustein dafür.11
Die von Bundeskanzler Scholz 2022 ausgerufene und von Lambrecht auf den militärischen Weg gebrachte Zeitenwende nimmt in Deutschland unter Kriegsminister Pistorius zunehmend ihre militärisch-aggressive Gestalt an. Die auch deshalb in 2024 immerhin etwas größeren Antikriegsdemonstrationen während der Ostermärsche und die Friedensdemo am 3. Oktober verdeutlichen einerseits zwar Ansätze von Widerstand gegen Kriegsvorbereitung und Kriegstreiberei, aber andererseits die Grundproblematik eines idealistischen Pazifismus ohne Kapitalismus- und Staatskritik, der auf diesen Demonstrationen maßgebend ist. Pazifismus ohne Kritik am Kapitalismus ist aber nichts weniger als ein Widerspruch in sich selbst. Es wird nämlich von den Kriegstreibern gefordert, doch bitte mit der Kriegstreiberei aufzuhören und stattdessen Verhandlungen für Frieden aufzunehmen.
Die Ursachen der Kriegstreiberei im Kapitalismus werden nicht oder nur von linken Splittergruppen in den Blick genommen. Die weltweit herrschende konkurrenzgetriebene Wirtschaftsformation des Kapitalismus, in der Wirtschaftskrieg zwischen Kapitalkonzernen und Staaten Alltag ist und in der Schießkriege als radikalisierte Form des Wirtschaftskrieges immer eine Option sind, wird nicht als solche wahrgenommen. Die aus dieser Wirtschaftsformation, in der der Selbstzweck des Kapitals, der Profit, auf der Basis fetischistischer Verhältnisse von Ware, Geld und Kapital als naturhaft notwendige Form menschlichen Lebens erscheint, in Wellen erwachsenden kriegerischen Hegemonialkonflikte können ohne Verneinung dieser Verhältnisse aber nicht als solche begriffen werden. Um die erkenntnisvernichtenden Verhältnisse auf die Spitze zu treiben, propagieren westliche Kapitalkonzerne und Staaten mit Hilfe ihrer Think Tanks und Medien obendrein, Marktwirtschaft und demokratischer Staat seien Garantien für Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden (sic!), die gegen böse und verbrecherische Mächte mit allen Mitteln verteidigt werden müssen.
Eine idealistisch-pazifistische Friedensbewegung, die ausgerechnet von den Befürwortern und Machern der Kriege fordert, Frieden zu halten, kann nicht begreifen, dass Kriege immer noch und immer wieder objektiv nur auf der Basis des Klassenantagonismus führbar sind, indem die Klasse der Kapitaleigentümer und Kapitalmanager sowie die politische Klasse als ideeller Gesamtkapitalist die Massen von Lohnabhängigen (ca. 80-85% der arbeitsfähigen Erwachsenen), die gleichzeitig die Masse der Zwangsstaatsbürger sind, als lebendige Körpermasse in den Kriegstod gegen Lohnabhängige konkurrierender Staaten schicken. Massenmord und Zerstörung von Feindkapital sind die beiderseitigen Ziele solcher Kriege. Sie sind die Radikalisierung dessen, was der Investor und Unternehmer Warren Buffett, einer der reichsten Männer der Welt, in seinem berühmten Zitat von 2006 für „Friedenszeiten“ so ausgedrückt hat: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“12 Hier durchschaut ein Mitglied der herrschenden Klasse die herrschenden Verhältnisse. Da die beherrschten Klassen die herrschenden Verhältnisse in ihrem dafür notwendig falschen Bewusstsein mehrheitlich nicht durchschauen und nur kleine Minderheiten eine klassenpolitische Analyse und Handlungsperspektive haben, kann hier leider keine aktuell hoffnungsvolle Perspektive dargelegt werden.
Wenn schon nur sehr wenige die Ursachen kriegerischer Barbarei erkennen, so funktioniert der individuelle Selbsterhaltungstrieb selbstverständlich doch immer noch massenhaft. Deshalb versuchen sich viele Russen und Ukrainer durch Flucht oder Verstecken dem Kriegsdienst zu entziehen. Der ukrainische Staat reagiert darauf ebenso wie der russische teils mit drastischen, auch gewalttätigen Rekrutierungsmaßnahmen, scharfen Gesetzen gegen Deserteure und Verräter an der patriotischen Pflicht, aber teils auch mit dem Lockmittel relativ hohen Soldatensolds. Was Staaten eben so zur Problembewältigung einfällt, wenn die Lohnarbeitskräfte und Zwangsstaatsbürger als verfügbares Menschenmaterial mal nicht so funktionieren, wie es dem Kapital und der Staatsgewalt laut Gesetz zusteht.
Die Abwesenheit einer hoffnungsvollen Perspektive zeigt sich auch darin, dass wegen mangelnder Analyse des Weltkapitalismus und seiner Hegemonialkonflikte die Widersprüchlichkeit dieses Weltsystems kaum wahrgenommen wird, denn neben Konkurrenz für einen gedeihenden Kapitalismus benötigt dieser im Widerspruch dazu durchaus auch Kooperation, Arbeitsteilung und (Welt-)Handelssicherheit. Dieser Widerspruch könnte zum Grund genommen werden, um wenigstens kapitalistische Restvernunft zu fordern, wenn schon momentan keine Möglichkeit zu klassenpolitischen Aktionen zur Verhinderung von Kriegen besteht, also die Herrschenden an ihren interessegeleiteten „Eiern“ zu packen und ihnen wenigstens einen diplomatisch erwirkten Waffenstillstand „schmackhaft“ zu machen. Da die Friedensbewegung bis jetzt aber keine klassenpolitische Perspektive entwickelt hat, kann sie immer nur auf Elend, Leid und Tod durch Kriege verweisen. Dass solche regelmäßigen Kollateralschäden der Kapitalverwertung und der Konkurrenz zwischen Staaten die Herrschenden kaum tangieren dürfte oder ihr Geschäft und ihre Machtpolitik gar stoppen könnte, wüssten die Friedensbewegten, wenn sie die Ursachen der organisierten Friedlosigkeit im System suchen würden. Zu diesem Schritt aber kann sich die Friedensbewegung nicht eindeutig und erst recht nicht mehrheitlich durchringen. Das „Argument“ der Friedensbewegung bleibt deshalb idealistisch, moralisch und systemblind.13
Keines der zentralen Probleme, das sich während und nach den beiden Weltkriegen und der Auflösung des weitgehend misslungenen Gegenentwurfs zum Kapitalismus (Auflösung der Sowjetunion und der sogenannten realsozialistischen Staaten in den 1980er/90er Jahren) im 20. Jahrhundert bereits deutlich abgezeichnet und entwickelt, sowie im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts voll entfaltet hat, ist in den nationalen und internationalen Herrschaftsstrukturen gelöst, ja nicht einmal nachhaltig problemmindernd geregelt worden, weil es in diesen Herrschaftsstrukturen nicht gelöst/geregelt werden kann.
– Extreme soziale Ungleichheit, sozial bedingte Armut, sozial bedingte Krankheit und sozial bedingtes frühzeitiges Sterben sind nicht nur in den sogenannten Armutsregionen der Welt tägliche Realität.
– Ökologische Krisenerscheinungen jedweder Art (nicht nur Klimawandel) weiten sich aus.
– Einschränkung politischer Teilhabe und Meinungsfreiheit sowie Diskriminierung von Minderheiten, Ethnozentrismus, Rassismus u.Ä. sind nicht nur in autokratischen oder diktatorischen Varianten der staatlichen Organisation des weltweiten Kapitalismus an der Tagesordnung, sondern auch in sogenannten demokratischen..
– Die kapitalistische Welt-Ökonomie „dreht durch“ – mit den oben genannten tödlichen Konsequenzen, schleichend im Waffenstillstand (zum Frieden ohnehin unfähig) und abrupt und schnell im Kriegszustand.
Die 17 Sustainable Development Goals der UN changieren zwischen Illusion, Widersprüchlichkeit und bitterem Witz.14
In solchen politisch-ökonomischen und sozialen Verhältnissen kann von der politischen Klasse und ihren intellektuellen Bücklingen nichts anderes als „Kanonen statt Butter“ erwartet werden. Es bleibt dabei, die herrschenden Verhältnisse müssen verändert werden, genauer: in ihr Gegenteil verkehrt werden, um überhaupt Perspektiven für eine grundsätzlich kooperative, sozial verträgliche und friedliche Lebensweise entwickeln zu können. Privatkapital an Produktionsmitteln, das über seine (!) Lohnabhängigen verfügt, und Nationalstaaten, die über ihre (!) Staatsbürger verfügen, müssen zu diesem Zweck abgeschafft werden.
Oder, um es mit einem Zitat aus einem lesenswerten aktuellen Buch zu sagen: „Wir leben in einem System, das mit den Bedürfnissen der Menschheit brutal kollidiert, das sich im Krieg mit dem Planeten, mit dem Leben befindet. Der einzige Krieg, der Sinn ergibt, besteht darin, sich zu wehren und das kapitalistische System zu stürzen.“15
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1 Siehe hierzu meinen Blog-Artikel
https://arche-noe.de/2022/09/17/zeitenwende-lambrecht-macht-mobil/
2 https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2024/april/#c10135
5 Pro NATO/USA/D: https://www.iiss.org/de-DE/online-analysis/online-analysis/2024/08/uber-die-ruckkehr-der-us-mittelstreckenraketen-nach-europa/
Contra NATO/USA/D: https://jacobin.de/artikel/mittelstreckeraketen-atomwaffen-usa-deutschland-nato-gipfel-inf-vertrag
9 https://www.bundeswehr.de/resource/blob/5761202/5101246ca9de726f78c4d988607532fc/oplan-data.pdf
https://www.reservistenverband.de/magazin-die-reserve/symposium-oplan/
https://www.feuerwehrverband.de/tfk-symposium-zum-operationsplan-deutschland/
https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2024/02/om-08-babz-zmz.html
12 New York Times, 26.11.2006.
13 https://www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2024/aufrufe
14 https://unric.org/de/17ziele/
15 Internationalist Perspective, Kämpfe nicht für „dein“ Land! Lügen und Kapitalismus in Zeiten des Krieges. S. 116. In: AK Beau Séjour (Hg.), Sterben und sterben lassen. Der Ukrainekrieg als Klassenkonflikt. Die Buchmacher, Berlin 2024.
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